zensiert von Matten Vogel, 2002
Censored by Matten Vogel, 2002
zensiert von Matten Vogel
Zensur ist das Gegenteil von Freiheit. Zensur bedeutet Repression. Meint Unterdrückung selbst bestimmter Gedanken und Äußerungen jeder Form durch hierarchisch höher gestellte Kontrollinstanzen. Sie kann von staatlicher Seite ausgehen oder – man denke nur an Michelangelos Fresken in der Sixtinischen Kapelle – von der Kirche. Aber auch von Vorgesetzten, Eltern und Lehrern, die etwa die Gründung eines Betriebsrates boykottieren, ihren Kindern das Tragen zu auffälliger Kleidung verbieten oder den kritischen Beitrag für die Schülerzeitung nicht abdrucken. Zensur kann also bis in alltäglichste Bereiche gehen – und manchmal ist die Grenze fließend zu dem, was man allgemein „Erziehung“ nennt. Dabei muss Zensur nicht immer negativ belastet sein. Angesichts der ungebremsten Informationsflut durch das Internet zum Beispiel kann sie durchaus notwendig werden. Und wer will schon entscheiden, wo der Schutz von Jugend oder Menschenwürde aufhört und die Verhinderung freiheitlicher Äußerungen beginnt. Im Grunde ist Zensur nichts anderes als ein Ausdruck der Sehnsucht des Menschen, das Leben in den Griff zu bekommen. Sie steht für den Wunsch, bestehende Ordnungen zu stützen, indem das, was sich jenseits des Bekannten orientiert, es in Frage stellt oder sonstwie bedroht, kontrolliert und eingeschränkt wird. In jedem Fall ist Zensur in ihrem langläufigen Verständnis eher Feind der Kunst, keinesfalls ihre Verbündete. Matten Vogel weiß darum. Aber es scheint ihn nicht zu stören. Im Gegenteil. Er macht das zensorische Prinzip bewusst zum Bestandteil seiner künstlerischen Arbeit, wenn er Fotos aus Zeitschriften, Büchern oder Prospekten heraussucht, einen Ausschnitt wählt, diesen scannt und Zensurbalken darin platziert. Die schwarzen Blöcke sind mal groß, mal klein, mal einzeln und mal zu mehreren in die Darstellung gesetzt. Sie liegen über den Gesichtern einzelner Menschen oder einer Gruppe sommerlich gekleideter, eifrig fotografierender und gespannt aus dem Bild schauender Freizeitler. Sie können sich aber auch wiederfinden in Aufnahmen von zerstörten Gebäuden nach einer Naturkatastrophe oder in idyllischen Berg-, Meer- und Waldlandschaften. Wichtig ist Vogel bei der Auswahl seiner Vorlagen, dass sie nicht allgemein bekannt sind und somit noch keinen Platz im kollektiven Gedächtnis des Betrachters haben. Trotzdem verleugnen sie ihre Herkunft nicht und sind in ihrer Ästhetik deutlich als Reportage-, Werbe- und Modefotografien zu erkennen. Die Platzierung der Zensurbalken folgt offensichtlich keinen inhaltlichen Gesetzmäßigkeiten. Befinden sich Menschen im Bild, sind sie auf eine Art und Weise über die Augenpartie gelegt, wie sie im Zusammenhang von Daten- und Persönlichkeitsschutz bekannt ist. Dieses Vorgehen scheint bei Einzelportraits noch Sinn zu machen. Schwierig wird es dagegen, wenn eine Menschenansammlung zu sehen ist. Die Auswahlkriterien des Künstlers, welche Gesichter er verdeckt und welche er offen lässt, sind nicht mehr nachzuvollziehen. Noch rätselhafter wird das Ganze, wenn der schwarze Balken losgelöst auf Waldlichtungen, in schneebedeckten Bergtälern oder im weiten Blau des Himmels schwebt. Verdeckt er tatsächlich etwas und hat damit eine ausgewiesene inhaltliche Funktion? Oder ist es nicht vielmehr so, dass er formal genutzt wird, das bestehende Bild zu rhythmisieren und neu zu gestalten? Zensur als Mittel der Bildentstehung? Kein Widerspruch im Verständnis von Matten Vogel. Das wird deutlich, wenn er etwa den Block exakt im Verhältnis des Goldenen Schnitts in den Horizont einer (norddeutschen?) Landschaft setzt. Und es zeigt sich darüber hinaus angesichts der beiden Ebenen, die in jeder Aufnahme der Serie zusammengeführt werden. Da ist zum einen das sichtbar gerasterte Vorlagenbild. Über dessen pixelige Fläche setzt Vogel den gestochen scharfen Balken, der bei aller Variation der Größe immer dominantes Element der Darstellung ist. Die inhaltliche Ebene der Vorlage wird damit bestimmt durch die gestalterische der Blocksetzung. Die Überlappung beider Bereiche wird besonders sinnfällig, indem Vogel sich des klassischen, schwarzen Zensurbalkens bedient, der heute geradezu altmodisch anmutet. Mittlerweile arbeitet man eher mit Weichzeichnern oder legt Raster über die blanken Busen tanzender Schönheiten in MTV-Videos. Doch diese Art der Zensur nähme den formalen Aspekt der Unschärfe auf, der sich bereits in den gescannten Originaldarstellungen äußert, und verstärkte ihn, anstatt ihn zu konterkarieren. Zudem empfindet der Künstler sie als verharmlosend: „Zensurbalken hingegen sind brutal, aber ehrlich.“ Schon in früheren Arbeiten findet sich bei Matten Vogel der Rückgriff auf Mittel der Kontrolle wie es im zensorischen Prinzip der vorliegenden Serie der Fall ist. In der Videoinstallation „Privat“ aus dem Jahr 2001 etwa präsentiert er auf vier Monitoren Nachtaufnahmen von Wohnungsfenstern, deren Verschwommenheit an Überwachungsbilder gemahnen, wie sie uns aus populären Spionagefilmen bekannt sind. Dabei passiert gar nicht viel. Da bewegt sich manchmal die Gardine, da huscht ab und zu der Schatten hinterm zugezogenen Vorhang, da flimmert das Fernsehbild – unspektakuläre Bilder, aus denen kein Grund für ihre Wiedergabe ersichtlich wird und die dennoch die Privatsphäre Unbekannter offenlegen. Trotz des Nicht-Geschehens auf den Bildschirmen bleibt der Betrachter dessen lustvoller Teilhaber. Denn er sieht Dinge, die ihm eigentlich nicht zustehen, und von denen die Beteiligten nicht wissen, dass er sie weiß. Und so kann ihn schon mal ein undefinierbares Bewusstsein der eigenen Überlegenheit, der eigenen Macht überkommen. Ebenso wie vielleicht Vogel angesichts seiner zensierten Bilder. Schließlich handelt es sich darin nicht um Zensur von außen, sondern um vom Künstler selbst vorgenommene - wie der Schriftzug „zensiert von Matten Vogel“, den er jeder Einzelarbeit der 18teiligen Serie beigibt, nicht müde wird zu betonen. Damit steigert er das Paradoxe seines Vorgehens ins nahezu Groteske: Der Künstler als oberste Kontrollinstanz des eigenen Werkes und in dieser Funktion gleichzeitig Erschaffer von Neuem. Die Lust, sich Allmachtsfantasien dieser Art hinzugeben, findet sich in seinen Arbeiten durchaus wieder. Und warum auch nicht? Es ist genau diese Faszination, die Matten Vogel antreibt. Der Gedanke, als Künstler nicht nur Schöpfer neuer Bildwelten zu sein, sondern weiter zu gehen. Eben diese zu schaffen, indem er auf Dinge wie Überwachung oder Zensur zurückgreift, auf Elemente, die dem kreativen Prozess diametral entgegengesetzt scheinen, ihn normalerweise gar verhindern. Vogel nutzt sie sehenden Auges, um mit ihrer Hilfe auf der Basis von Vorgefundenem etwas Neues nach seinen Vorstellungen entstehen zu lassen. Das bereits Bestehende der Vorlage verliert dabei seine ursprüngliche Aussage, wird behandelt wie eine Skizze auf dem Weg zum eigentlichen Werk, ist ebenso Mittel zum Endzweck wie die Setzung des schwarzen Balkens in ihr. Zensur wird hier nicht verstanden als Beschränkung, sondern als Möglichkeit der Erweiterung, als Ausdruck künstlerischer Freiheit. Oder besser: Das Sinnbild zensorischer Allmacht wird umgewandelt in ein Synonym für die Macht des Künstlers im offenen, kreativen Prozess. Der Künstler als Zensor dem Bild zuliebe – für Matten Vogel schließt sich das eben keineswegs aus.
Janneke de Vries
Censored by Matten Vogel
Censorship is the reverse of liberty. It means repression. Involves the suppression of all form of self-determined thoughts and comments by controlling authorities that are higher placed in the hierarchy. It can be instituted by the government or – you only have to think of Michelangelo’s frescos in the Sixtine Chapel – the church. But it also originates from superiors, parents and teacher, that say boycott the establishment of a works council, forbid their children to wear outlandish clothes, and is equally in the decision not to print the critical contribution to the school magazine. In other words, censorship can extend to everyday things – and at times there is no clear-cut dividing line between it and what is generally referred to as “education”. Yet censorship need not necessarily have a negative touch. Given the unabated flood of information produced by the Internet for instance, it can become a real necessity. And who is to decide where legal protection for young people begins, and the obstruction of liberal expression begins? Essentially, censorship is nothing more than an expression of people’s longing to get a grip on life. It represents the desire to uphold existing orders by controlling and limiting whatever goes beyond the familiar, challenges it, or otherwise threatens its existence. At any rate, in the generally accepted sense censorship is more an enemy of art, and by no means its ally. Matten Vogel is aware of this. But it does not seem to bother him. On the contrary. He deliberately incorporates the censorship principle into his artistic work. His method: he takes photos from magazines, books or brochures, selects a section, which he then scans, and places censorship strips across it. Sometimes the black strips are large, sometimes small, at times they appear in isolation, at others several occur together. They are placed across the faces of individuals or a group of relaxed-looking people in summer clothes, eagerly taking photos. But they occur equally in photos of buildings destroyed by natural catastrophes or in idyllic scenes of mountains, forests or seascapes. The important aspect for Vogel in making his selection is that the subjects are not generally known, and as such occupy no place in the observer’s collective memory. For all that, they do not deny their origin, and are easily recognizable in their aesthetic as newspaper, advertising or fashion photographs. Evidently, there are no natural subject-related laws governing the positioning of the censorship strips. If the photos include persons, they are placed over the eyes in the manner familiar to us from pictures observing data protection and privacy laws. This approach seems to make sense in individual portraits, but the situation becomes difficult to decipher when a crowd of people is depicted. In such cases, it is no longer possible to grasp the selection criteria the artist applies to determine which faces to cover, and which to leave uncovered. The whole thing becomes more puzzling still when the black strip floats unencumbered above forest clearings, in snow-covered mountain valleys, or a blue expanse of sky. Is it really concealing something, thereby having a proven subject-related function? Or is it not more the case that it has a formal purpose, is designed to lend the existing picture rhythm and restructure it? Censorship as a means of creating a picture? To Matten Vogel’s way of thinking this is not a contradiction. That much is evident when he say places the strip on the horizon of a (North German?) landscape exactly in relation to the golden section. And it is also apparent in the two levels that are unified in every photograph. Firstly, there is the original photo which has been visibly scanned. Across the latter’s bepixeled surface Vogel places the pin-sharp strip, which though it varies in size always forms the picture’s dominant element. This effectively defines the original picture’s content level through the artistic element of the censorship strip. The overlapping of both areas becomes particularly obvious through Vogel’s employment of the classic, black censorship strip which assumes a truly old-fashioned appearance. Today, people tend to rely on soft-focus lenses or superimpose patterns over the bare breasts of dancing beauties on MTV videos. But such censorship would detract from the formal aspect of fuzziness already expressed in the scanned originals, and would reinforce rather than counteract it. Moreover, the artist believes such methods have a minimizing effect: “whereas censorship strips may be brutal, but are honest.” Already in Matten Vogel’s earlier works we can detect him resorting to control devices, such as the censorship principle in this series. In the video installation “Private” from the year 2001, for instance, he presents night shots of apartment windows on four monitors, whose blurriness evokes the surveillance images familiar to us from popular spy movies. Not that much happens. Occasionally a curtain moves here, a shadow flits behind the drawn curtain, elsewhere the TV screen flickers – unspectacular images reproduced for no immediately apparent reason, that nonetheless expose the private sphere of strangers. Though the monitors reveal a lack of activity, the observer is however a willing party to it. After all, nobody has granted them permission to see what they do, and the participants are not aware they are party to them. This knowledge can produce a vague sense of one’s own superiority, one’s own power. A sense shared by Vogel perhaps vis-à-vis these censored pictures. Ultimately, we are not confronted with censorship by a third party, but by the artist himself, as he never tires of emphasizing in the epithet “censored by Matten Vogel”, that accompanies every single work in the 18-part series. This effectively lends the paradox nature of his action an almost grotesque quality: The artist as the highest control authority of his own work, and in this function simultaneously a creator of something new. The desire to submit to such fantasies of omnipotence certainly occurs repeatedly in his work. And why not? This is precisely the fascination that drives Matten Vogel. The idea of not only being a creator of new visual worlds as an artist but of also going further. And furthermore to do so by resorting to things such as surveillance or censorship, to elements that are seemingly diametrically opposed to the creative process, indeed normally obstruct it. Vogel employs them consciously with deliberate clarity, and with their assistance creates something new from what exists - according to his concepts. In the process, what once existed in the first photo loses its original message, is treated like a sketch precursory to the actual work, becomes equally a means to an end as does the positioning of the black strip on it. Censorship is not understood here as restriction but rather as a vehicle of expansion, an expression of artistic liberty. Or better still: The image of censorship omnipotence is transformed into a synonym for the artist’s power in an open, creative process. The artist as a censor for the sake of the picture – for Matten Vogel the two are by no means mutually exclusive.
Janneke de Vries