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scroll - vor die Zeit kommen, 2017 – 2020

scroll EQ – 10. Februar 2020 – vor die Zeit kommen, 2020
Öl auf Leinwand / oil on canvas, 140 x 95 cm

scroll- 04. November 2018 - vor die Zeit kommen, 2019
Öl auf Leinwand / oil on canvas, 140 x 95 cm

scroll-FM -18. Juli 2018 - vor die Zeit kommen, 2018/19
Öl auf Leinwand / oil on canvas, 140 x 95 cm

scroll - 4. Mai 2018 - vor die Zeit kommen, 2018/19
Öl auf Leinwand / oil on canvas, 140 x 95 cm

scroll - 18. August 2017 - vor die Zeit kommen, 2018/19
Öl auf Leinwand / oil on canvas, 140 x 95 cm

scroll - 16. Mai 2017 - vor die Zeit kommen, 2017
Öl auf Leinwand / oil on canvas, 140 x 95 cm

Scroll

Die Wahrheit ist konkret, hat Bertold Brecht gesagt. Doch das Abstrakte ist seiner Zeit voraus. Es versucht, eine Wahrheit zu erfassen, die nicht mehr verstanden wird, worauf Künstler oft auf eine naheliegende Weise reagiert haben. Sie haben Wirklichkeit auf ihre "konstanten Formelemente" zurückgeführt, wie Piet Mondrian es genannt hat, und so das einzig Verlässliche an ihr in den Vordergrund gestellt, das nicht durch Gefühle und Ideen vernebelt werden konnte. Farben, Linien, Material.
Matten Vogel ist der Zeit auch voraus. Wenn es auch nur ein paar Sekunden sind. Mit seiner SCROLL-Serie hält er auf seinen Gemälden den Augenblick einer Erwartung fest: Dass etwas sichtbar werde. Indem er Google nach Bildern fahnden ließ, sah er immer wieder ein Muster an pastellenen Farbflächen auftauchen, die als Platzhalter für die Wahrheit dienen. Dafür musste er nach unten scrollen und die Maschine überholen. Denn obwohl der Algorithmus schnell ist, kann er doch nicht sämtliche Vorschläge gleichzeitig anzeigen, was zu dem eigenartigen Effekt führt, dass man ihm voraus sein und abstrakte Bilder entstehen sehen kann, die sich in der Tradition Mondrians zu bewegen scheinen. Jedenfalls so lange, bis die Maschine aufgeholt hat.
So nimmt ein flüchtiger Moment des Unkonkreten Gestalt an, eine Zwischenzeit, in der die Maschine uns mit dem Versprechen hinhält, dass sie finden wird, was wir suchen. Dass es ein schönes Versprechen ist, hat Matten Vogel, der Piet-Mondrian-Verehrer, gleich erkannt. Er malt es.
Als er beim Scrollen zum ersten Mal vor die Zeit geriet und das entstehende Farbmosaik erblickte, dachte er: "Das ist ja von mir." Tatsächlich hat Vogel früh begonnen, im Stile Piet Mondrian zu arbeiten und Bilder zu malen, die auch von ihm hätten stammen können. Und das war der beabsichtigte Effekt. Er malte danach Maschendrahtzäune und Mauern, die in ihrer formalen Strenge der geometrischen Figur mehr Gewicht zu verleihen schienen als dem eigentlichen Topos: Dass es sich nämlich um Barrieren und Sichtbehinderungen handelt, die den Blick auf die Wirklichkeit verstellen.
Matten Vogel hat von jeher interessiert, welche Hindernisse Kunst überwinden muss, um Kunst zu sein. Sei es, dass ein Künstler nebenher zu viele Jobs annehmen muss, um sich im Atelier seinen Projekten zu widmen. Sei es, dass die Erwartungen an die Kunst den Blick auf sie so stark prägen, dass man das Wichtigste nicht mehr erkennt. Dafür muss er in Zeiten der digitalen Datenverarbeitung eine Suchmaschine austricksen und so schnell durch die Ergebnisliste scrollen, dass er Zeit für ein Bildschirmfoto gewinnt. Das dient ihm dann als Vorlage für seine Scroll-Bilder.
Es liegt nicht gleich auf der Hand, Vogel Scroll-Arbeiten mit Gerhard Richters ,unscharfen‘ Gemälden der sechziger und siebziger Jahre in Verbindung zu bringen. Tatsächlich aber folgen sie derselben Irritation. Während sich Wirklichkeit in Richters verschwommenem ,Fotorealismus‘ auflöst in das Simulakrum der Fotografien, die ihnen als Vorlagen dienten, ist sie bei Vogel ein technisches Konstrukt, ein Maschinendesign, das ebenfalls seine eigene Wirklichkeit behauptet. Es ist die Wirklichkeit eines Programms zur Datenverarbeitung. Vogel zeigt uns, wie blind es uns macht.

Kai Müller

Scroll

Bertolt Brecht said: Truth is concrete. By contrast, the abstract is always ahead of its time. It tries to grasp a truth that is no longer understood, to which artists have often reacted in a way that seems only natural. They have led reality back to its “constant formal elements,” as Piet Mondrian termed it, thus placing the only thing about it that was reliable, that could not be obscured by feelings and ideas, center stage: colors, lines, materials.
Matten Vogel is also ahead of his time. Even if sometimes by only a few seconds. He records a moment of anticipation in the paintings that form his SCROLL series: The anticipation of something coming into view. Searching for images on Google, he noticed that time and again a pattern of pastel color fields appeared, which served as stand-ins for the truth. In order to observe this effect, he had to scroll down and be faster than the machine. Because even though the algorithm is fast, it is unable to show all the suggested proposals at the same time, which can produce the odd effect of being ahead of it and seeing abstract images arise – images that appear to stand in the tradition of Mondrian. At least until the machine catches up.
Thus a fleeting moment of vagueness takes shape, an interim period during which the machine stalls us, promising that it will find what we are looking for. Matten Vogel, an admirer of Piet Mondrian, instantly recognized that it is a beautiful promise. He paints it.
Matten Vogel has always been interested in the obstacles art has to overcome in order to become art. Be because as an artist he has to take on too many jobs on the side to work on projects in the studio. Be it because the expectations placed on art shape the latter so strongly that we are no longer able to make out what is most important about it. In order to create his works in our era of digital processing, he has to play tricks on a search engine and scroll through result lists fast enough to have time for a screen shot. Which he then uses as a template for his scroll paintings.
It may not appear obvious to relate Vogel’s Scroll pieces to Gerhard Richter’s “blurred” paintings of the 1960s and 1970s, but they do in fact both rely on the same unsettling effect. While reality dissolves into the simulacrum of the photographs on which the works are based in Richter’s fuzzy “photorealism,” in Vogel’s work it is a technical construct, a machine design asserting its own reality. It is the reality of a program for data processing. Vogel shows us how blind it makes us.

Kai Müller

scroll - 25. Juni 2017 - vor die Zeit kommen, 2017
Öl auf Leinwand / oil on canvas, 140 x 95 cm